Ich gebe zu, dass der Titel bewusst provokativ ist. Wie so oft in Blog Artikeln. Immerhin ist es keine Top-Ten Liste 🙂
Ich habe in den letzten Jahren immer mal wieder den Unterschied gespürt zwischen Pianisten, Klavierspielern, Keyboardern, Musikern und vielen weiteren Bezeichnungen meiner Berufung. Je nach gesellschaftlichen Kontext klingen mit den Berufsbezeichnungen andere Assoziationen, Stereotypen und Klischees im Kopf des Gegenüber. Pianisten werden landläufig in die Philharmonie und in das erste Klavierkonzert von Tschaikowski gesteckt. Jazz-Pianisten als Sonderform dann in die Jazzclubs, wo sie mit schlechter Körperhaltung kaum nachvollziehbare Skalen in hochleistungssportlerischem Tempo spielen mit anderen Freaks. Klavierspieler drücken sich in dunklen Spielunken rum und spielen Gassenhauer im Hintergrund, Keyboarder können eigentlich gar nicht spielen. Das Gerät spielt ja von alleine, wenn sie nicht gerade in einer 80er Jahre Coverband virtuose Synthesizer Soli spielen. Wobei die auch vom Gerät kommen könnten. Wer weiß das schon?! Musiker sind letztlich die, die Hotelzimmer zerlegen, Alkohol und Drogen zusammen mit den Groupies im Backstage in Massen konsumieren und auf Knopfdruck auf der Bühne genial sind. Oder eben doch nur auf dem Schützfest die billige Version des Films “Fleisch ist mein Gemüse” nachspielen. Solche Klischees werden zwar nicht immer ausgesprochen, doch kann man sie spüren. Sucht Euch also was aus.
Pianisten können keine Harmonielehre und das Keyboard spielt von selbst
Wie komme ich nun auf diese freche Behauptung. Es ist der Graben zwischen den Tradionalisten und Kassikern und den vermeintlich moderneren Elektronikern, die auf alle Konventionen scheißen. Dabei liegt der Hauptunterschied im Unterricht der verschiedenen Instrumente. Sie scheinen gleich zu sein. Gerade weil es mittlerweile auch 88-Tasten Versionen von elektronischen Tasteninstrumenten gibt, die ja auch Klaviersounds intus haben. Dennoch: der klassische Pianist mit einer Klavierausbildung konzentriert sich eben auf das Interpretieren von Kompositionen. Harmonielehre wird auch klassisch, oft theoretisch unterrichtet. Und wenn sie am Insrument selbst unterrichtet wird, dann bleibt sie letztlich doch theoretisch. Ich muss schlichtweg als Interpret nicht wissen, warum der Komponist von der Tonart in eine andere wechselt. Akkorde und Funktionsharmonik brauche ich zur Interpretation nicht verstehen. In erster Linie muss ich die Spieltechnik besitzen, die vom Tonsetzer geschriebenen Noten umzusetzen. Möglichst in meiner Interpretation, die auch noch “richtig” sein muss, denn sie wird vom Bildungsbürgertum genauestens überprüft und bewertet. Die Spezialisten treffen sich oft in eigens dafür gebauten heiligen Hallen. Selbst wenn also diese theoretische Ausbildung Teil des Klavierspielens sein sollte, so wird sie nicht wirklich gebraucht.
Anders beim Keyboarder. Hier lernt der Schüler mit der rechten Hand Melodien zu spielen und in der linken Hand die Begleitautomatik zu bedienen. Ja, richtig gelesen. Automatik. Durch das Drücken von Akkorden in der Linken Hand im unteren Bereich des Keyboards reagiert das Gerät auf harmonische Veränderung. Die “Begleit-Band” wird damit gesteuert. Diese spiel zwar auf Knopdruck von allein, doch würde es entweder langweilig werden, wenn sie nur auf einem Akkord bliebe oder gar ganz schräg klingen. Sie macht nur Sinn, wenn sie mit Akkordwechseln gesteuert wird. Somit spielt das Keyboard dann doch nicht von ganz allein. Im Übrigen klingen die Begleitungen, wenn man etwas mehr Geld in ein Keyboard investiert, durchaus nicht mehr nach schlechtem Alleinunterhalter und sind brauchbar. Der Vorteil: Der Keyboarder setzt sich von Beginn an mit Akkorden und Harmonielehre auseinander. Manchmal nur mit Griffen. Dann ist es eine Art Lagerfeuergitarre mit Tasten. Hat man einen besseren Lehrer, begeistert der einen für das Prinzip von Harmonik und des wird interessanter als das reine Griffe lernen. Ein Keyboarder weiß dann nach Akkordsymbolen zu spielen. Aus den Abkürzungen kann ich sofort sämtliche Akkordstruktur ablesen und umsetzen. Ein Pianist mit klassischer Ausbildung wird seine Probleme mit einem Dm7sus4 haben oder einem Gdim. Er weiß es oft einfach nicht. Vor allem wofür es gut sein soll, es zu wissen.
Jazzpianisten – Eine Sonderform
Hier kommen beide Welten zusammen. Im Grunde ideal, wie ich finde. Jazzer setzen sich viel mit Harmonik und Harmoniemodellen auseinander. Basieren doch viele Spieltechniken auf der Kenntnis von Skalen und Akkorden. Die Improvisation ist zentral in der Kunstform und Akkordsymbole an der Tagesordnung. Die linke Hand wird hierbei für mehr benutzt, als nur für das Bedienen einer Automatik. Der Jazzpianist spielt mit beiden Händen Läufe und kann die linke auch wirklich bewegen. (Bei reinen Keyboardern eher ein Manko, wenn sie nur Griffe spielen). Aber auch Poppianisten haben oft die Fähigkeiten mit beiden Händen zu spielen und auch nach Akkordsymbolen zu spielen. Das hat auch den Vorteil, dass die Begleitung frei wählbar ist (fast improvisiert, wenn man so will) und nur die Melodie notiert ist. Wie in den Real-Books der Jazzer – eine Sammlung bekannter Melodien, auf denen improvisiert wird.
Kenne beide Welten
Ich möchte nicht beide Welten – die Klassik und die populären Bereiche – gegeneinander ausspielen. Es steckt einfach ein anderes Können und eine andere Herangehensweise beim Interpretieren dahinter, als beim Improvisieren oder spielen nach Akkordsymbolen. Doch lohnt sich die Beschäftigung mit beiden Welten sehr. Die Konzentration auf Ausdruck und Spieltechnik ist auch für einen Keyboarder wertvoll. Und klassische Pianisten entdecken ihre eigene Kreativität noch einmal anders, wenn sie selbst die Begleitung erfinden, die in den Akkordsymbolen stecken kann. Gerade wenn man Improvisieren möchte, ist eine Beschäftigung mit Harmonielehre hilfreich. Wenn ich den Zusammenhang von Tonarten verstehe, kann ich schneller dahin, wo mich mein Gespür hintreibt. Es eröffnet eine größere Welt mit mehr Möglichkeiten. Und auch da kann man sich genug Grenzen setzen, wenn man mit der Freiheit überfordert sein sollte. Immerhin gibt es genug Jazzpianisten, die auch nur ihre Skalen hoch und runter spielen. Das machen sie zwar oft virtuos, aber ein Zirkuspferd kann auch virtuos sein. Das hat nichts mit Kreativität zu tun. Da bleibt dann die Frage, was daran noch improvisiert ist. Das ist eine andere Geschichte. Aber es ist ein Anfang.