“Kreativität entsteht, wenn man aus der Routine ausbricht. Wenn Kunst Routine ist, ist sie weniger inspiriert. Es ist mehr möglich, wenn ich mich mit Dingen außerhalb der Kunst oder der Kunstform beschäftige, mit der ich sonst arbeite.”
Soweit meine These. Der Mensch wird immer dann kreativ, wenn er etwas unvorhergesehenes meistern muss. Das Gehirn bricht sein gewohntes Schema und muss improvisieren, wenn es diese Situation nicht vorher schon einmal oder mehrmals lösen musste. Alle kennen das “Putz dir die Zähne mal mit der anderen Hand”. Das ergibt ein neues Gefühl. Man ist aufmerksamer und wacher, empfindet dies schon als besondere Situation. Als Künstler mache ich mir Gedanken, ob mir irgendwann mal nichts mehr einfällt, ich mich im Kreis drehe. Sprich: Ich werde unkreativ. Drehe ich mich nur noch um mich selbst? Wir Künstler leiden unter einer ganz bestimmten gesellschaftlichen Sache. Wir leiden unter dem romantisierten Bild eines Künstlers aus dem 19. Jahrhundert. Der Künstler ist der einsame Wolf, der nur am Rande einer Geisteskrankheit zu seiner Kunst fähig ist. Er lebt in schwierigen Verhältnissen, ob emotional oder monetär, und kann nur aus diesem Mangel und Druck heraus solch geniale Kunst machen. Was heißt kann? Er ringt damit. Er muss das Endprodukti aus der Tiefe seiner Seele unter Schmerzen geboren haben. Soweit das Künstlerbild aus dem 19. Jahrhundert. Und wenn man sich umschaut, gibt es genug Künstler, die diesem Klischee entsprechen (wollen). Doch sind wir dann noch kreativ, wenn wir uns jeden Tag nur mit unserer Kunst beschäftigen?
Entspann dich
Ich kann nicht kreativ sein, wenn ich jeden Tag vor meinem Klavier mit mir ringen müsste, eine geniale Idee aus meinem Kopf zu schälen. Warum nicht? Weil es mein Alltag wäre. Eine weitere Annahme ist, dass Kreativität nur aus einem entspannten und nicht über konzentrierten Zustand heraus entsteht. Manche meditieren, mir reicht schon ein kleiner Spaziergang. Oder ich entspanne mich bei anderen Dingen, wie Yoga. Aber: Ich sitze nicht vor dem Instrumente und grüble, was ich nun tolles machen kann. Das bringt nichts. Entspannung ist aber auch, nicht im monetären Druck untergehen zu müssen. Das bedeutet, dass ich nun nach ein paar Jahren im Kunstgeschäft, genug Geld zum Leben verdiene. Damit entspanne ich mich auch, weil ich nicht dauernd Geldprobleme habe und mir Gedanken mache, wie ich an Geld komme. Diese relative Sicherheit führt auch zu mehr entspannter Kreativität. Manche Kollegen müssen stundenlang anderen Berufen nachgehen, um genug Geld für ihre Kunst zu haben. Auch nicht gerade entspannt.
Guck Fußball
Es muss nicht gleich Fußball sein, aber ein Input, der nicht mit deiner Kunst zu tun hat, führt auch wieder heraus aus dem Alltag. Es kann auch die Beschäftigung mit anderen Kunstformen sein, die dich inspiriert. Ich male seit einiger Zeit. Nicht, dass ich damit hoch hinaus will, aber es ist eine ganz andere künstlerische Beschäftigung. Selbst das Erstellen meiner Musikvideos ist etwas anderes, als das Stück zu komponieren. Fotoausstellungen inspirieren mich. Oder einfach nur andere Städte und Menschen sehen und mit ihnen zu kommunizieren. Sport ist aber immer eine guter Ausgleich. Ich gehe ab und an Squashen, weil es anders ist, als meine Arbeit. Und weil man in der Sauna danach herrlich entspannen kann.
Ein interessantes Buch zum Thema “Kreativität” ist das hier:
Und plötzlich macht es KLICK! von Bas Kast. S. Fischer Verlage
Raus aus Deiner Traumwelt
Künstler geben gern das Klischee ab vor Nicht-Künstlern. Man will anders sein und anders wirken. Und dadurch gesehen werden. Sich irgendwie abwenden und doch zu wenden. Deshalb wirken viele Künstler, wie ver-rückt aus der Welt. Bewusst oder unbewusst. Vielen gefällt es, der Sonderling zu sein, der immer an eckt. Man wird wahrgenommen dadurch und handelt distinktiv. Aber ist das eigentlich so gut? Sich so in seine Welt zurück zu ziehen? Nicht mehr zu den Normalos gehören? Das geht solange gut, wie sie dich “verehren”, toll finden und irgendwie beachten. Und vor allem: bezahlen! Ja, es geht um Geld und Geltung. Denn ohne Geld ist in unserem gesellschaftlichen System eben auch schnell Ende mit der Kunst. Denn ohne Brot, keine Entspannung, keine Kreativität, sondern Zwangsräumung. Das ist die Realität. Wenn ich also nicht fähig bin, wenigstens in Ansätzen in der “anderen” Welt klar zu kommen oder zu wollen, bin ich nur noch ein isolierter Sonderling, der damit irgendwann auf die Nase fallen kann. Hat man damit Erfolg, gut. Aber wieviele haben das wirklich und täuschen nicht nur vor, das sie glücklich am Existenzminimum leben?
Es hat noch einen zweiten Aspekt: Umgebe ich mich nur mit meiner eigenen Kunst, werde ich zwangsläufig unkreativ, selbst verliebt und bin nicht mehr offen für Einflüsse von außen. Die sind aber wichtig, um mich zu entwickeln und auf neue Ideen zu kommen. Und vor allem: Nicht im Klischee des 19. Jahrhunderts zu leben.
Werde ein moderner Künstler
Ich habe einen Mittelweg gefunden zwischen meiner Kunst und einem “normalen” Leben ohne Geisteskrankheit und Angst vor Zwangsräumung. Ich sehe meine Kunst als großes Glück. Als Berufung und Lebensinhalt. Aber eben nicht nur. Ich gehe raus in die Welt der anderen und habe Teil an ihr. Setze mich mit Problemen, wie Telefonrechnung, Bundesliga und Bier auseinander. Kann auch Feierabend machen und dann nicht mehr an Kompositionen und Auftritte denken. Mich um meine Frau und Tiere kümmern und am Leben teilhaben ohne immer vergeistigt und verkopft das Künstlerklischee zu bedienen. Keine intellektuellen Dauerdiskussionen jeden Tag, sondern einfach mit einander umgehen, ohne dass meine Berufung in jedem Wort eine Rolle spielt. Etwas, das ich oft vermisse. Und leider am meisten bei denen sehen, die gar nicht so erfolgreich – was auch immer das heißt – in ihrer Kunst arbeiten. Im Gegenteil: Diejenigen, die “Erfolg” mit ihrer Kunst haben, sind die, die am “normalsten” erscheinen und angenehme Menschen sind. Das ist für mich ein moderner Künstler. Ernst in seinem Tun, aber nicht im 19. Jahrhundert hängen geblieben.