Tempowechsel oder Die Kunst der Gleichförmigkeit

Eine Show braucht Abwechslung. So heißt es in Improkreisen. Das Publikum soll sich schließlich nicht langweilen. Es gibt einige Möglichkeiten, wie man diese Abwechslung gestalten und Langeweile im Zuschauerraum verhindern kann. In Gameshows heißt das oft, dass es einen Wechsel zwischen szenischen Teilen, statischen Spielen, erzählten Geschichten und Songs gibt. Tempowechsel ist hier das Stichwort. Und das ist es bei Langformen gemeinhin auch. Bei einer längeren Geschichte über eine Showhälfte oder gar einen Abend sollten Tempi gewechselt werden. Aber welches Tempo meinen wir eigentlich? Und betrifft das immer alle Teile der Darstellung? Landläufig werden Körperlichkeit gegen statisches Spiel, große Redeanteile gegen Stille, kurze gegen längere Szenen gestellt. Aber vor allem die Körperlichkeit ist oft die erste Wahl, wenn es um Tempowechsel geht. Da folgt dann nach einer gleichförmigen Szene schon einmal eine Verfolgungsjagd. Auch der Musiker wird oft angehalten, das Tempo bewusst zu ändern um so eine Veränderung der Darstellung zu erzielen. Ich habe schon öfter gehört, wenn es Längen in Langform Shows gab, dass ja auch die Musik so getragen war und es die Spieler deshalb noch schwerer hatten, aus ihrer Gleichförmigkeit heraus zu kommen. Sicherlich, die Musik beeinflusst die Spieler unterbewusst sehr stark, doch haben es die Spieler nicht selbst in der Hand, ihr Spieltempo zu verändern? Und muss die Musik immer mitgehen oder gar einen Wechsel vorgeben? Ich meine nicht. Denn wie wäre es, wenn der Soundtrack einer Langform gezielt getragen bzw. langsam ist, wenn sie damit einen Ausdruck verfolgt. Viele Filme funktionieren prima mit epischer, langsamer Musik ohne langweilig zu sein oder dass man einen Tempowechsel der Musik vermissen würde. Ein Drama wird sehr oft mit langsamer Klaviermusik gestaltet. Doch deshalb vermisse ich nicht den Tempowechsel in der Musik. Im Gegenteil. Der Musiker entscheidet sich mit der Gesamtaussage der Geschichte zu gehen und nicht situativ jede Szenenmusik zu verändern. Das spannt einen großen Bogen der Geschichte. Aber was braucht es dann, damit die Story nicht langatmig wird? Ich denke, es sind Entscheidungen auf den anderen Ebenen, so schwer sie auch umzusetzen sind bei der Kraft der Musik. Körperlichkeit und Szenentempo können trotz langsamer Musik wechseln. Es kann sehr schnelle Szenen geben, in denen schnell geredet, gelaufen, gekämpft oder geritten wird. Die Musik bildet den Gegensatz dazu und unterstreicht im besten Fall eine andere Aussage, als die individuelle Szenenaussage. Auch kann zu einer getragenen Melodie eine heitere Szene gespielt werden. Auch wenn es schwer fällt, nicht mit der Musik zu gehen. Trainiert hierfür gemeinsam an Gegensätzen in der Szene. Entscheidet bewusst, wer wann in einer Szene mit oder gegen die Musik geht. Die Resultate sind oft erstaunlich und geben so mancher Geschichte eine ungeahnte Tiefe. Wagt es als Musiker eine Langform gleichförmig zu begleiten, während die Spieler darauf achten, dass sie die Tempi wechseln mit ihren Mitteln. Probiert das Thema Tempo in all seinen Facetten aus. Tempo kann in so vielen Dingen stecken. Hier noch einmal eine unvollständige Übersicht:

Sprachrhythmus
Sprechpausen
Sprechtempo
Sinneinheiten und Gedankenabschnitte
Stille
Körperlichkeit und Bewegung
Gestik
Mimik
Wechsel des Dialogs
Musikalische Begleitung
Pantomimisches Handeln
Melodie
Harmonisches Tempo (Akkordwechsel)

Tempo ist eng verknüpft mit Rhythmus. Versucht gemeinsam mit dem Musiker das Thema Rhythmus auf die Szene anzuwenden. Tempo, Rhyhmus und Beat der Szene sind sehr eng verknüpft mit der Musik, in der sie einen festen Platz haben. Musik und Schauspiel sollten versuchen herauszufinden, wo der Rhythmus einer Szene steckt und wo ich ihn bewusst wahrnehme. Eine Szene als Musikstück zu betrachten hilft beim Verstehen. Als Musiker lerne ich eine Szene als Musik zu lesen und sie widerum in Musik zu fassen. Als Schauspieler verstehe ich, welche Rolle Musik in der Szene spielen kann und wie ich mit ihr spiele. Und wenn ich eine Szenenmusik nicht mit der Szene verknüpfen kann, dann ist es vielleicht der große Bogen des Musikers über die gesamte Langform, der hier gerade für ihn eine Rolle spielt. Das sollte Euch aber nicht davon abhalten, Tempowechsel auch selbstständig zu vollziehen, auch wenn es den Anschein hat, dass der Musiker in der individuellen Szene gerade diesen nicht mit macht. Es wird (hoffentlich) seinen guten Grund haben. Vielleicht ist er genau in diesem Moment und in dieser Impro Langform mutig, einmal die Kunst der Gleichförmigkeit auszuprobieren. Als Spieler seid nicht zu überrascht. Gesteht dem Musiker zu, dass er versucht der Gesamtgeschichte eine Farbe zu geben. Als Musiker seid weiterhin mutig auch mal gleichförmig zu sein. Sogar einen ganzen Abend lang. Alles lebt von Kontrasten. Vielleicht ist es bei diesem Auftritt einmal Aufgabe der Spieler, diese Kontraste zur Musik herzustellen und für Tempowechsel zu sorgen.


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Podcast „Musik in Improszenen“

 

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